Über 70 Gemeindevertreterinnen und -vertreter, Amtsleiterinnen und Amtsleiter sowie Grossrätinnen und Grossräte trafen sich zum jährlichen Austausch am Gemeindeforum in Interlaken. Im Zentrum des durch die Volkswirtschaft Berner Oberland organisierten Anlasses standen die Umsetzung der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes 2. Etappe (RPG II) sowie die Wohnungsnot in touristischen Gemeinden. Zwei Themen, die im Berner Oberland für rege Diskussionen sorgen.
Damit sich das Berner Oberland weiterhin positiv entwickelt, sind gute Rahmenbedingungen nötig. Dazu leisten die Gemeindepolitik und die Vertreterinnen und Vertreter im Grossen Rat im Kanton Bern wichtige Beiträge. «Damit wir weiter etwas bewegen können, müssen wir Synergien nutzen und zusammenarbeiten.» Die einleitenden Worte von Marianna Lehmann, Präsidentin der Volkswirtschaft Berner Oberland, zogen sich wie ein roter Faden durch das Programm des Gemeindeforums. Beleuchtet wurden zwei Themen, die national diskutiert werden und das Berner Oberland besonders betreffen: Die Umsetzung des Raumplanungsgesetzes II zum Bauen ausserhalb der Bauzone, welche im Herbst 2023 vom Parlament beschlossen wurde. Die Teilrevision stellt nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Kantone vor verschiedene Herausforderungen. Der zweite Teil des Anlasses widmete sich der Wohnungsnot in touristischen Regionen, insbesondere in Bezug auf Plattformwohnungen. Ein Thema, dass im Berner Oberland von West bis Ost zunehmend an Bedeutung gewinnt und Gemeinden und Destinationen gleichermassen Kopfzerbrechen bereitet.
Auch im AGR ist längst nicht alles klar
Mit Daniel Wachter stellte sich der Vorsteher des Amtes für Gemeinden und Raumordnung AGR am Gemeindeforum Berner Oberland der Diskussion. In einer «Tour d’horizon» erläuterte er die wichtigsten Inhalte des Raumplanungsgesetzes II, welches voraussichtlich ab 1. Juli 2025 in Kraft tritt. Der Kanton Bern ist besonders von der Gesetzgebung betroffen: Insgesamt befinden sich in der Schweiz 620’000 Gebäude ausserhalb der Bauzone, davon rund 125’000 oder 20% im Kanton Bern. Von den jährlich 20’000 Anfragen und Baugesuchen im Kanton, befinden sich fast ein Viertel ausserhalb der Bauzone. Was die Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen anbelangt, stehen noch sehr viele Fragen im Raum – auch beim Amt für Gemeinden und Raumordnung. Zum Beispiel ist bei der Möglichkeit des Gebietsansatzes noch unklar, in welcher Grösse diese neuen Perimeter definiert werden können. Details der Umsetzung werden in der nationalen Raumplanungsverordnung geregelt, diese befindet sich noch bis zum 9. Oktober 2024 in der Vernehmlassung. Daniel Wachter liess die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden wissen, dass er die Umsetzung der neuen Bestimmungen mit seinen Mitarbeitenden pragmatisch angehen will. Bei aktuellen Planungsverfahren können die Gemeinden die direkt anwendbaren Themen aus der Revision RPG II, wie zum Beispiel Erleichterungen für Erneuerbare Energien, der Vorrang Landwirtschaft oder die Abbruchprämie bereits anwenden.
Unterschiedliche Rahmenbedingungen, gleiches Problem
Pragmatische Lösungen und eine verstärkte Zusammenarbeit waren auch beim zweiten Themenblock zentral. Interlaken, Unterseen, Saanen, Grindelwald, Lauterbrunnen, Thun – das sind nur einige Orte im Berner Oberland, die sich verstärkt mit den Auswirkungen von Wohnungsknappheit beschäftigen. Gerade in touristischen Destinationen verschärft sich die Problematik. Adrian Bürgy, Co-Autor des durch den Verein Berner Tourismusdestinationen in Auftrag gegebenen White Papers «Wohnungsnot in touristischen Regionen – Herausforderungen in der Personalrekrutierung und die Rolle von Airbnb» zeigte die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie auf. In der anschliessenden Podiumsdiskussion erläuterten Franz Christ, Gemeinderat Interlaken, und Toni von Grünigen, Gemeindepräsident Saanen, als Gemeindevertreter ihre Sicht auf die Herausforderungen. Die Situation präsentiert sich unterschiedlich – so akzentuiert sich etwa die Problematik der Plattformwohnungen in Saanen weniger als in Interlaken – das zentrale Problem, dass wenig bezahlbarer Wohnraum für Einheimische vorhanden ist, bleibt sich gleich. Aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen ergeben sich auch unterschiedliche Lösungsansätze. Während in Saanen die Gemeinde vermehrt in den Bau von Wohnungen investiert und selbst auch Wohnraum anbietet, werden in Interlaken aufgrund der geringen Landreserven vor allem regulatorische Lösungen gesucht, wie etwa die Auflage eines Erstwohnungsanteil von 100% bei Überbauungsordnungen und Zonen mit Planungspflicht oder eine Mindestaufenthaltsdauer in Ferienwohnungen von drei Nächten.
Austausch trägt zur Lösungsfindung bei
Die Tourismussicht brachte Marc Ungerer, Geschäftsführer Jungfrau Region Tourismus AG, in die Diskussion ein. Er bemängelte die fehlende Datengrundlage, um die unterschiedlichen Problematiken besser erfassen zu können und so gezielt auf die jeweilige Gemeinde zugeschnittene Lösungen zu finden. Auch die uneinheitlichen Kurtaxen-Reglemente im Kanton tragen dazu bei, dass beispielsweise mit Plattformanbietern wie Airbnb kein einheitlicher Abrechnungsprozess und Datenaustauch stattfindet. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass sich die Lösungen für die bestehenden Herausforderungen individuell und auf die Situation der jeweiligen Gemeinde zugeschnitten, präsentieren müssen. Dennoch betonten alle die Wichtigkeit der Zusammenarbeit: Der gegenseitige Austausch – nicht nur zwischen Gemeinden und Tourismus – sondern auch gemeindeübergreifend untereinander, trage zur Lösungsfindung bei.