Geschichte eines Brienzer Betriebs im «Kielwasser» der Brienzer Holzbildhauerei
Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Tourismusverkehr in den Alpenregionen einsetzt, entwickelt sich die Produktion von Souvenirs und Kunstgegenständen zu einem existenziellen Wirtschaftszweig. So sollen um 1880 rund 2‘000 Schnitzer im Berner Oberland gearbeitet haben. 1884 wird die Schnitzlerschule, die heutige Schule für Holzbildhauerei, im Volksmund liebevoll «Schnätzi» genannt, gegründet.
Ein neuer Wirtschaftszweig in Krisenzeiten?
In den Krisenzeiten der ersten Hälfte des 20. Jh. bricht die Tourismusbranche im Alpenraum ein. Viele Holzbildhauer sind erwerbslos. Vor diesem Hintergrund scheint es den Initianten der Geigenbauschule, namentlich dem damaligen Berner Wirtschaftsdirektor, erfolgversprechend, die Brienzer Holzschnitzerei durch einen neuen Wirtschaftszweig zu ergänzen. Die Idee: Neben der Ausbildung von (Brienzer) Geigenbauern, gebe man ausserdem erwerbslosen Holzhandwerkern die Möglichkeit, Zusatzeinkünfte zu erzielen, indem man sie z.B. in der Produktion von Zubehör für Streich- und Zupfinstrumenten schule (ein Szenario, welches in dieser Form nie realisiert wurde).
Am 1. Juli 1944 wird also der neue Lehrbetrieb eröffnet. In zwei Zimmern einer Dreizimmerwohnung am Kirchbühl in Brienz, nimmt die kleine Schule mit zwei Brienzer Lehrlingen und einem Lehrmeister aus Zürich den Betrieb auf. Zu Beginn der 1950-er Jahre wird der Lehrbetrieb verstaatlicht. Als neue Abteilung der Schnitzlerschule ziehen die Geigenbauer unter deren Dach ein.
Brienz steht für seine lange Holzschnitzertradition. Die Schnitzkunst dient zunächst der Herstellung von Gebrauchsgegenständen
Neuer Standort und neue Herausforderungen
1982 schafft der Kanton Bern unweit der Schnätzi einen neuen, eigenen Standort für die Geigenbauer, der ganz auf die Bedürfnisse der Geigenbauerausbildung zugeschnitten ist. Nur wenige Jahre später, Mitte der 90-er Jahre, zieht sich derselbe Kanton aus dem Betrieb der Geigenbauschule zurück. Schliessungsverfügung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht «nicht zweckmässig» lautet das Verdikt. Gelinge es, eine private Trägerschaft zu gründen, stelle man jedoch weiterhin die Infrastruktur zur Verfügung. Die Privatisierung gelingt – heute wird der einzige Ausbildungsort für Geigenbauerinnen und Geigenbauer in der Schweiz von der Stiftung Geigenbauschule getragen.
Heute
Wenn Sie in letzter Zeit einmal durch die Oberdorfstrasse in Brienz spaziert sind, ist Ihnen allenfalls die Fassade der frisch sanierten Geigenbauschule an der Oberdorfstrasse 94 aufgefallen?
Die Front des schönen historischen Chalets setzt sich aus unterschiedlichen Hölzern zusammen – altem, wettergegerbtem und neuem, helleren Fichtenholz. Ein Puzzle, das sinnbildlich widerspiegelt, womit wir uns im Innern des Gebäudes beschäftigen: mit dem Erlernen eines traditionsreichen, über 500-jahre alten Handwerks in einem modernen Umfeld.
An der Schweizer Geigenbauschule lernen heute bis zu 12 Auszubildende. 2-3 junge Berufsleute verlassen jährlich die Schule, um in die Welt zu tragen, was sie in Brienz gelernt haben. Als solide Kunsthandwerker und Kunsthandwerkerinnen mit musikalischem Gespür sind «die Brienzer» gefragt. Sie finden entweder in einem der ca. 100 Schweizer Ateliers oder auf dem internationalen Markt Anstellung.
Kommen Sie uns besuchen! Unsere Dauerausstellung über den Schweizer Geigenbau «Von Fideln und Meistergeigen» ist Mi/Fr und Sa geöffnet. Führungen durch die Lehrwerkstätten können wir nach Absprache anbieten. Für mehr Informationen über Öffnungszeiten, Führungen oder den Besuch unserer Konzertreihe «Dachkammerkonzerte», besuchen Sie unsere Website: www.geigenbauschule.ch